Resonanz

Bochum – Einen Satz aus Ephraim Kishon’s „Picassos süße Rache“ hat die Malerin und Bildhauerin Claudia Seider als Präambel in die Einladung der Bochumer Galerie im Luisenhof geschrieben: „Ich möchte künftigen Generationen, die den Bazillus der hässlichen Kunst bereits in sich tragen, wenigstens die Erinnerung an eine Widerstandsbewegung mit auf den Weg geben.“
                                  Die  Provokation  Eros
Pies para qué los quiero. si tengo alas pa’volar?, ein Zitat aus dem Tagebuch von Frida Kahlo: „Füße. wieso brauch‘ ich die, wenn ich doch Flügel habe. um zu fliegen?“
Ein Satz, der Bezeichnendes einerseits zur Psyche der Künstlerin Frida Kahlo, andererseits symptomatisches über die weibliche Kunst auch von Claudia Seider aussagt, die eine Bildhauerin unserer Zeitepoche ist, die sich von Emotionen – ihren Flügeln – leiten läßt, um ihre Skulpturen zu erschaffen.
Eine Rückblende: in der Bildhauerei ist die Abbildung der Weiblichkeit vom Ursprung
an ein Hauptmotiv; die älteste bekannte uns überlieferte Figur ist die der Venus von Willendorf etwa 30000 – 25000 v.Chr.). In der Antike wurde das Frauenbild von Männern idealisiert. und bis in unsere Neuzeit hinein blieb die Bildhauerei Männersache, denn man sprach der Frau die Fähigkeit des räumlichen Denkens ab, so noch 1928 von Hans Hildebrandt behauptet. Bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts weigerten sich die Akademien Frauen zum Bildhauerstudium zuzulassen, mit der Begründung es sei unschicklich am Aktstudium teilzunehmen.
Einige schafften es doch (z.B. in Männerkleidern wie Gert von Berg), wie man in den Biographien von Camille Claudel oder Clara Rilke-Westhoff nachlesen kann, selbst wenn sie keine Anerkennung fanden, sondern geächtet wurden. Vaterfiguren in der modernen weiblichen Bildhauerei sind einerseits Auguste Rodin mit seinen doch wegweisenden bildnerischen Modulationen zur Belebung und Komprimierung der Figur durch Fragmentierung wie auch andererseits Marcel Duchamp, der sich gelegentlich selbst das weibliche Pseudonym Rrose Sélavy gab. In den Werken von Germaine Richier, einer Schülerin von Bourdelle ist der Einfluß Rodin’s unverkennbar, wie auch der spätere Einfluß zum Surrealen hin durch Giacometti. Auch Käthe Kollwitz stand anfänglich unter dem Einfluß von Rodin, und in ihren frühen Zeichnungen aus der Zeit zwischen 1900 und 1910 ist Liebe und Eros ein signifikantes Thema für sie. Aber später, nach dem Tod ihres
Sohnes, hat sie sich ihrer Zeit entsprechend mit sozialkritischen frauenspezifischen Themen beschäftigt. Ihr Ringen zwischen abstrahierender und realistischer Form hat in der monolithischen
Strenge der Darstellung eine klare überzeugende Lösung gefunden.
Zu den Bildhauerinnen, die die Kunst der Frau des XX. Jahrhunderts prägten, gehören u.a. Milly Steger, Katharina Heise, Hanna Höch und Rebecca Horn. Ein bisher unverarbeiteter Faktor in der Skulptur der Bildhauerinnen ist der Eros des Weiblichen. Diesem Thema hat sich Claudia Seider verschrieben und sie sagt: „…tief verwurzelte Emotionen und Wünsche werden freigelegt, aber auch die Schönheit und Freude am Menschen, die Annahme der Herausforderung LEBEN sind mein Anliegen.“
Die Sinnlichkeit will sie in den Vordergrund rücken, der Betrachter soll sich selbst unter der Oberfläche ihrer Skulpturen wiederfinden und seinen eigenen „Herzschlag“ verspüren. Stilistisch den Naturalismus des spezifisch Weiblichen mit dem Surrealen anstelle des Personifizierenden in einer Symbiose zu vereinen, schafft einen neuen Symbolismus allgültiger Sinnlichkeit, der schon in der eingangs erwähnten Figur der Venus von Willendorf eingebunden ist.
Claudia Seider kann in der Art ihres künstlerischen Arbeitens kein mannigfaltiges Oeuvre produzieren, denn vor dem Ursprung jeden Werkes steht die Herausforderung LEBEN, und dieses braucht Zeit, Zeit zum Erleben, dem Verarbeiten des Erlebten und dem sinnlich Neuerschaffenen.
Axel-Alexander Ziese

Abbildungen:
Oben große und kleine Abbildung: Auf der ewigen Suche nach der Balance, Bronze; links außen: Die Befreiung, Bronze; links Mitte: kniend ruhender Akt (Arbeitstitel), Bronze; rechts oben, Mitte, unten: Dancing couple, Bronze.

Anke Schmich spricht über die Künstlerin Claudia Seider

Zu den Werken Claudia Seiders anlässlich der Ausstellung „Erlebnisse der Seele machen Spuren im Gehirn“ am 16.Mai 2022
Claudia Seiders künstlerisches Wirken ist von einem grundlegenden Anthropozentrismus geprägt, d.h. sie stellt generell den Menschen ins Zentrum ihres künstlerischen Schaffens.
Die Skulpturen Claudia Seiders sind durch ihre Dynamik verlebendigt und suggerieren dem Betrachter ein schon fast intimes Verhältnis. Die bronzenen, nackten Körper sind dem Blick des Rezipienten von allen Seiten verfügbar. Das Herumgehen um die Skulptur ist also erwünscht, ebenso die vorsichtige Berührung derselben, denn das haptische Erlebnis ist mindestens genauso eindrucksvoll wie das visuelle. Die Sensualität durch das Berühren der kühlen Bronze verfestigt den Eindruck, den das Kunstwerk als Erinnerungsspur in unserem Gehirn hinterlässt. Scheuen Sie sich also nicht, sich so zu benehmen wie Kleinkinder, denn auch sie lernen nicht nur sehend, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes „begreifend“…
Die den Figuren innewohnende psychologische Komponente kann also vom Betrachter sowohl sehend / visuell als auch fühlend / tastend erfahren werden. Die Skulptur definiert sich hier als ein Medium, das unsere Vorstellung und unser Verlangen nach Unsterblichkeit erfüllt oder zumindest sehr wahrscheinlich erfüllt, denn Bronze als Material verspricht eine gewisse Langlebigkeit und so erhält auch die ihnen innewohnende Ästhetik ein Credo der Omnipräsenz in Geist und Seele. Der Genuss des Betrachtens wirkt nach und hinterlässt ein Gefühl des Wohlempfindens, das sich als positive Erfahrung tief im Gehirn verankert. Das Licht wird auf der bronzen schimmernden Oberfläche reflektiert, Schatten bilden sich in Körpermulden und Hohlformen. Muskelpartien wölben sich kantig auf, Extremitäten verflüchtigen sich elegant zu abstrakten Formen. In diesen Skulpturen vereinen sich Dynamik, Bewegung und Statik gleichermaßen. Die Aktskulptur präsentiert sich hier nicht nur als fixierter Moment gelungener Köpergestaltung, sondern gleichsam als lebendige und dennoch örtlich festgelegte Materialisierung eines inneren Gefühls oder einer zwischenmenschlichen Beziehung.
Alle Rechte, insbesondere die des Nachdrucks und der Veröffentlichung, auch in digitalen Medien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Dass die ihnen immanente Bedeutung eine universelle Gültigkeit im Auge des Betrachters erlangt, ist das Verdienst Claudia Seiders, da sie ihren Figuren meistens kein Gesicht und manchmal sogar noch nicht einmal die Silhouette eines Hauptes gönnt. Die Torsohaftigkeit, das Fehlen einer eindeutigen Identität, die Unmöglichkeit der konkreten personellen Zuordnung, bietet uns als Rezipienten die unmittelbare Chance der Identifikation. Das Fragmentarische, das Unvollkommene rückt das Menschsein in den Vordergrund und lässt Emotionen, als auch psychische wie physische Reaktionen lebendig werden. Kraft und Anstrengung werden ästhetisch komprimiert, um sich in einer abstrakt reduzierten Körperlichkeit zu offenbaren. Das Skulpturenpersonal Claudia Seiders bewegt sich in einem Interaktionsraum zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen der klassischen Formgebung und der abstrakten Moderne. Brancusi, der seine Gesichter so weit abstrahierte, dass nur noch gebrochene Ovalformen übrig blieben, ging nicht so weit wie Frau Seider, die ja zum Teil ganz und gar auf die Köpfe verzichtet. Die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des menschlichen Körpers wird durch die Reduktion der plastischen Ausformulierung des Kopfes und diverser Extremitäten gebrochen. Dennoch zeichnen sich diese Skulpturen durch Klarheit, Einfachheit, Stringenz und zeitlose Schönheit aus. Trotz oder gerade wegen ihrer Reduziertheit gewinnen sie an Dramatik und Stärke im Ausdruck. So auch in den Arbeiten, die sich durch die paarweise Darstellung der Figuren generieren, hier kommt die Existenzialität der Beziehungen („Miteinander“/„Gegeneinander“) spannungsvoll zum Ausdruck. Diese Aktdarstellungen sind gekennzeichnet durch die Nähe zur Natur und zur menschlichen Kreatur. Die selbstverständliche Balance legt Zeugnis ab von der Differenziertheit der formalen Mittel, die zu einer beeindruckenden Harmonie führt. Diesen Figuren ist jede Zerrissenheit fern, sie haben etwas Kraftvolles und weisen über sich selbst hinaus.
Claudia Seider bewegt sich daher mit ihren Arbeiten auf einem schmalen Grat zwischen Konvention und Innovation. In ihren Figuren steckt eine Urkraft, der man sich kaum entziehen kann, eine beständige Energie – und beileibe nichts Flüchtiges und Vergängliches.


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